Open Justice vs. Privacy
Von der Justiz wird erwartet, dass sie einerseits Zugang zu Gerichtsentscheidungen gewährt und andererseits die Privatsphäre mit dem «Recht auf Vergessen» schützt. Mit dem Projekt "Open Justice vs. Privacy" wird im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramm "Digitale Transformation" (NFP 77) an rechtlichen und technischen Lösungen geforscht, wie diese beiden auf Grundrechten beruhenden Ansprüche erfüllt werden können. Dieses interdisziplinäre Projekt wird in Zusammenarbeit zwischen der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit am Institut für Informatik (Philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät), dem Kompetenzzentrum für Public Management (Rechtswissenschaftliche Fakultät) und dem Institut für Wirtschaftsinformatik (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät) durchgeführt.
Hintergrund und Ziele
Mit Justitia 4.0 soll auch in der Schweiz weitgehend flächendeckend die elektronische Gerichtsakte eingeführt werden. Immer mehr Gerichte veröffentlichen ihre Urteile im Internet. Die technische Entwicklung (z.B. künstliche Intelligenz) ermöglicht gleichzeitig zunehmend eine De-Anonymisierung veröffentlichter Urteile. Es gibt bislang keine interdisziplinären Untersuchungen zur Anonymisierung von Gerichtsurteilen. Nicht erforscht ist auch die Meinung von Gesellschaftsgruppen zur Urteilspublikation im Internet.
Die angestrebten Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften sowie zwei Dissertationen sollen fundierte rechtliche und technische Grundlagen schaffen, inwiefern die heutige Anonymisierung von Gerichtsentscheiden Schwachstellen aufweist und aufzeigen, wie diese korrigiert werden können. Dies geschieht im engen Austausch mit der European Commission for the Efficiency of Justice (CEPEJ), der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR) und dem Verein eJustice.CH.
Projektbeschrieb und Nutzen
Es wird erstens der rechtliche Rahmen für den Umgang mit Gerichtsurteilen bzw. elektronischen Gerichtsakten und deren Bereitstellung für die Öffentlichkeit ermittelt. Zweitens wird durch die Analyse von Gerichtsurteilen erforscht, welche Informationen aus anonymisierten Gerichtsentscheiden mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (Natural Language Processing) gewonnen werden können. Drittens wird zur Bewertung der Positionen der verschiedenen Interessengruppen im Justizsystem (Gerichte, Anwälte, Prozessparteien, Medien, Gesellschaft) die Meinungen von Experten und die Einstellung der Öffentlichkeit zum Spannungsfeld zwischen Transparenz und Privatsphäre ermittelt und analysiert. Zum Schluss wird ein Interessenabgleich vorgenommen und es werden allgemeine Regeln zum Umgang mit Gerichtsurteilen formuliert.
Als konkretes Resultat dieses Forschungsprojekts soll eine Online-Plattform entwickelt werden, mit der Gerichte ihre anonymisierten Gerichtsentscheidungen hinsichtlich der potentiellen Gefahr einer De-Anonymisierung bewerten können. Ausserdem soll dieses Tool den Gerichten ermöglichen, Gerichtsurteile so zu anonymisieren, dass die mögliche Re-Identifikation der Prozessparteien minimiert werden kann. Weiter sollen generelle Richtlinien für die Urteilspublikation geschaffen werden.